Als der Eifeldoktor Kaffee im Schnee kochte

„ … Also die Thermosflasche ist auch noch nicht uralt. Aber sie hat sich schnell Freunde erworben. Vor allem unter denen, die nachts arbeiten müssen oder viel auf Reisen sind. Dazu gehörte auch der Doktor Cornelius Trimborn aus Manderscheid, der vor 15 Jahren (1926) nach einer 25jährigen ärztlichen Tätigkeit in der „Grafschaft“ Manderscheid, Laufeld und Niederöfflingen und bis über Daun hinaus gestorben ist, dessen Andenken aber heute noch fortlebt in den Herzen derer, die ihn kannten und die seine Hilfe und Unterstützung erfahren haben.
Ihm saß der Schalk im Nacken, immer und überall, außerhalb seines Berufes. Seine Praxis nahm er jedoch sehr ernst, und da war ihm kein Weg zu weit, wenn er zu einem Leidenden gerufen wurde, um ihm zu helfen. Ob im Winter oder Sommer, ob in Schnee oder Eis oder in glühender Sonne, zu jeder Stunde und Zeit stand er als Arzt zur Verfügung.
Mit der Kutsche fuhr er von Dorf zu Dorf, und als das Auto auch in den Eifelbergen seinen Einzug hielt, war er einer der ersten, die es zu Fahrten übers Land benutzten, der Eifeldoktor von Manderscheid.
Eines Tages mitten im Winter war er zu einer Frau in ein Dorf auf dem Hinterbüsch gerufen worden, um einem jungen Menschlein beim Eintritt ins Leben zu helfen. Der Herr Sanitätsrat – auch das war er in Manderscheid geworden - , war mit seinem Wagen, auf dessen Bock sein braver Kutscher Hanni saß, noch rechtzeitig in das Dorf gekommen, um der Frau beizustehen. Es war eine schwere Geburt gewesen, aber der Kunst des Doktors war es geglückt, Mutter und Kind zu retten. Und das ließ ihn selbst alle Mühen vergessen.
So eine Fahrt über Land und dann die ärztliche Hilfe machen Hunger, und Doktor Trimborn war kein Kostverächter. Brot und Schinken fand er meist in den Bauernhäusern; eine Flasche Wein hatte er selbst mitgebracht. Und das langte dann für ihn, die Ditzchesmöhn und den glücklichen Vater. Waren die Leute arm, und das waren viele, denen er beistand, dann rechnete er gar häufig das Gegessene auf die ‚Gebührnisse‘ für seine ärztlichen Bemühungen dergestalt an, daß sehr oft der Doktor ‚zubezahlte‘, indem er der Wöchnerin noch ein paar Mark obendrauf gab, daß er sich dafür aber gerne an einer anderen Stelle einen Ulk erlaubte, wer hätte es dem Doktor verübeln wollen, den alle kannten und den man mitunter sogar fürchtete, denn er war ‚geradeheraus‘ und scheute sich nicht, recht deutlich zu werden, wenn seine Anordnungen nicht genauestens befolgt wurden, er war aber auch dann offen, wenn er bei einem Patienten feststellte, daß die ärztliche Kunst nichts mehr ausrichten würde. Im ging es wahrhaftig nicht darum, den Leuten unnötige Kosten zu machen.
In dem vorhin erwähnten ‚Fall‘ waren die Leute sehr arm. Doktor Trimborn wusste das und hatte sich daher vorsorglich sogar Brot und Butter von daheim mitgebracht. Dies ließ er, nachdem die Geburt vorbei war, durch seinen Kutscher in die Stube bringen. Die Ditzchesmöhn war mit dem Doktor gut bekannt, denn oft hatten sie beide schon zusammengearbeitet. Schnell wollte sie daher, ehe der Doktor wieder fortfuhr, noch einen guten Kaffee kochen, wie sie das schon öfters getan hatte, wenn sonst niemand im Hause dazu zur Verfügung stand.
Aber diesmal wollte der Doktor keinen Kaffee gekocht haben. Nein, diesmal sollte die Ditzschesmöhn auch einmal eine Tasse Kaffee trinken, die der Herr Sanitätsrat kochen werde.
Zwar dampfte auf dem Ofen bereits das heiße Wasser, aber der Herr Sanitätsrat ließ die Ditzchesmöhn vors Haus gehen und einen Eimer mit Schnee füllen, denn er werde den Kaffee nur im Schnee kochen. Gesagt getan.
Der Eimer mit dem Schnee war bald herangeschafft. Doktor Trimborn ließ nun durch seinen Kutscher ein Gefäß in die Stube bringen, das in Tücher eingewickelt war, und das der Doktor dann höchst eigenhändig in den Schnee vergrub. ‚Es dauert etwa fünf Minuten‘, meinte er, indem er der Ditzchesmöhn an Auftrag gab, ein paar Tassen auf den Tisch zu stellen. ‚Drei Minuten, vier Minuten‘, der Doktor zählte, während sein Blick unverwandt auf die Uhr gerichtet war. ‚Fünf Minuten. Nun ist es soweit. Der Kaffee ist fertig.‘ Er steckte die Uhr in die Westentasche zurück, holte das Gefäß aus dem Schnee heraus und stellte es auf den Tisch.
Ernst ist das Gesicht des Doktors, sehr ernst. Die Ditzschesmöhn, die ihm zuschaut, ist nicht weniger ernst. Niemand hat das schalkhafte Lächeln bemerkt, das sich in das Gesicht des Doktors stahl, als er die Frau so voller Neugier auf das Gefäß blicken sah. Und nun öffnete der Doktor den Pfropfen. Wahrhaftig, die Ditzchesmöhn tat einen Bautzer, aus dem Gefäß strömten der Geruch und der Dampf kochenden Kaffees heraus. Der Doktor füllte die beiden Tassen, und dann tranken er und die Ditzchesmöhn diesen im Schnee gekochten Kaffee.
Erst später hat die Dizchesmöhn erfahren, daß man solche Gefäße Thermosflasche nenne, und daß der Doktor sich den heißen Kaffee von daheim mitgebracht hatte. Aber als dann eines Tages der Doktor wieder mit ihr zusammentraf, zeigte sie ihm, daß auch sie Kaffee im Schnee zu kochen vermochte.
(aus einer vor 80 Jahren entstandenen Erzählung, zur Verfügung gestellt von Hans Dresen, Manderscheid).