Die letzte Bewohnerin der Oberburg
Das Burggretchen
Seit mehr als tausend Jahre thront die Oberburg nun schon über dem Liesertal. Zuerst war sie die Stammburg der Manderscheider Ritter und ab Mitte des 12. Jahrhunderts eine Landesburg des Trierer Bischofs. Bis 1794 blieb sie in kurtrierischem Besitz. Stürmische Zeiten hat sie erlebt, zuletzt als die französischen Revolutionstruppen die Stadt und beide Burgen plünderten. Es ist dem damaligen Pfarrer Hubert Zeininger zu verdanken, dass die Burg als Wahrzeichen der Stadt heute noch existiert, denn er erwarb sie von den Franzosen und rettete sie so vor dem gänzlichen Verfall. Danach wechselte die Burg mehrfach den Besitzer, ehe im Jahre 1870 die Gräfin Paula von Brühl die Ruine kaufte. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wollte der Eifelverein die Oberburg vom Grafen von Brühl erwerben. Die Kaufsumme von 1500 Mark war von Landgerichtsrat von Schnitzler zur Verfügung gestellt worden. Da aber hohe Renovierungskosten zu erwarten waren, hatte die Hauptversammlung des Eifelvereins den Kauf nur unter der Voraussetzung genehmigt, dass die Instandsetzungsarbeiten ebenfalls durch Dritte übernommen würden. Der Erste Weltkrieg zerschlug jedoch alle Hoffnungen und nach Kriegsende konnte der Eifelverein keine eigenen finanziellen Mittel aufbringen. Schließlich kaufte 1921 die Gemeinde Manderscheid die Oberburg. Der Kaufpreis betrug 1800 Mark.
Die Oberburg war schon lange nicht mehr bewohnt, als Mitte des 19. Jahrhunderts der Tagelöhner Matthias Josef Zirbes sich dort einnistete. Zirbes stammte aus Demerath und hatte am 16. Dezember 1847 die zwanzig Jahre ältere Margarethe Stadtfeld aus Manderscheid geheiratet. Am 8. Juni 1850 reichte Zirbes folgenden Bauantrag an den königlichen Bürgermeister Georg Meyer ein.
„Ich begehre mich Euer Wohlgeboren vorzustellen, dass ich gesonnen bin, ein Wohnhaus auf der sogenannten Obermanderscheider Burg zu erbauen und dass mir die Erlaubnis erteilt werden möge, besagte Gebäude mit Stroh decken zu dürfen. Euer ergebenster Diener.“
Dem Antrag wurde stattgegeben.
Nachdem Zirbes dann ein kleines Haus auf der Westbastion instandgesetzt und im Eckturm auf der gegenüberliegenden Burgseite einen Ziegenstall gebaut hatte, wohnte das Paar von da an auf der Oberburg.
Zirbes war ein stiller Mensch, der stark zum Grübeln neigte und schließlich dem Wahn verfiel, er werde unter den Trümmern der Burg einen großen Schatz finden. Jahrelang suchte er vergebens danach. Da fand einer seiner Bekannten im Schutt der Niederburg ein Goldstück. Dieser Fund auf der Grafenburg bestärkte Zirbes in seinen Vermutungen. Nachdem eine Wahrsagerin ihm eine Stelle genannt hatte, wo er den Schatz finden würde, gab es für ihn keinen Halt mehr. Im Frühjahr 1862 begann Zirbes mit dem Graben. In dem harten Schiefer ging die Arbeit nur langsam voran. Die Schatzsuche wurde dann jäh beendet. An einen Sonntagmorgen besuchte Zirbes nach dem Gottesdienst eine Wirtschaft, um wie üblich seinen Schnaps zu trinken. Angeblich schenkte ihm der Wirt versehentlich Kupfervitriol ins Glas. „Ich bin vergiftet, ich bin vergiftet“ schrie Zirbes auf und lief zur Burg zurück. Dort verstarb er wenige Stunden später. Er wurde nur 40 Jahre alt.
Seine Witwe Margarethe wohnte weiter allein auf der Oberburg. Sie wurde im Dorf nur „Burggretchen“ genannt. Sie galt als Kinderschreck, denn immer, wenn die Kinder aus dem Dorf in den alten Mauern der Burg spielten, wurden sie von ihr mit dem Besen in der Hand verjagt. Schließlich zwangen Altersbeschwerden sie die Burg zu verlassen und zu ihren Verwandten ins Dorf zu ziehen. Dort starb das Burggretchen am 17. Juni 1879 im Alter von 78 Jahren.