Geschlechtertrennung anno 1929
Das Schwimmbad an meinem Elternhaus, der Heidsmühle in Manderscheid, war ein kleiner See, der ursprünglich durch das Aufstauen der Kleinen Kyll im Wege des Mühlenbetriebs entstanden war. Es gab einen Nichtschwimmerbereich, der mit mächtigen Rundhölzern abgetrennt und dessen Boden betoniert war, eine ziemlich schräge Liegewiese, Umkleidekabinen aus rohem Fichtenholz mit Gucklöchern, einen Rettungsring und einen betagten Bademeister, den ich nie im Wasser gesehen habe und von dem böse Zungen behaupteten, er sei Nichtschwimmer. Erst als im Mai 1966 in Manderscheid ein Freibad eröffnet wurde, endete der Badebetrieb in der Kleinen Kyll.
Von den Schwierigkeiten, mit denen mein Großvater bei der Gründung des Schwimmbades zu kämpfen hatte, ahnte ich bislang nichts. Das änderte sich vor einiger Zeit, als ich einen vergilbten, zwei Zentimeter dicken Schnellhefter in der Hand hielt. Bei der Akte mit der handschriftlichen Aufschrift in Sütterlin „Badeweiher Stadtfeld, Heidsmühle“ handelt es sich um einen Verwaltungsvorgang der Gemeinde Manderscheid, der dem Archiv des Heimatmuseums leihweise entnommen wurde. Darin geht es im Wesentlichen darum, ob das Schwimmbad auf der Heidsmühle gleichzeitig von Personen beiderlei Geschlechts benutzt werden darf.
Der Oberlandjäger Weinstock vom Landjägeramt Manderscheid brachte den Stein ins Rollen. Im Juli 1927 verfasste er eine schriftliche Anzeige gegen Nikolaus Stadtfeld, Heidsmühle, da dieser oberhalb seiner Mühle durch Anlegung eines Staubeckens einen Badebetrieb eröffnet hatte, ohne die hierzu erforderliche Verleihung auf Grund des Wassergesetzes aus dem Jahre 1913 erhalten zu haben. „Bei meiner heutigen Revision habe ich zirka 30 Personen als Badende festgestellt“, führt der Amtsbedienstete aus. „Ferner hat Stadtfeld im Orte Manderscheid und auf seinem Eigentum Schilder mit der Aufschrift Badeanstalt angebracht.“
Durch zwei separate polizeiliche Verfügungen der Polizeiverwaltung Manderscheid, unterzeichnet von Bürgermeister Kiefer, wurde Stadtfeld daraufhin unter Androhung einer Geldstrafe von jeweils 40 Reichsmark aufgefordert, den Badebetrieb einzustellen sowie die Schilder zu entfernen.
Ein Protestschreiben, unterzeichnet von 76 Manderscheider Kurgästen, unter anderem aus Saarbrücken, Köln, Düsseldorf und Berlin, war die prompte Reaktion. Hier wurde vor allem die vorbildliche Anlage hervorgehoben, die eine genaue Abgrenzung für Schwimmer und Nichtschwimmer vorsieht.
In seinem Antwortschreiben, zugestellt unter anderem an die Hotelbesitzer Zens und Müllejans zur Weitergabe an die Gäste, geht der Manderscheider Bürgermeister in erster Linie auf Sicherheitsaspekte ein, die eine Regelung erforderlich machen: „Am 8. Mai des Jahres rettete der Schreinergeselle Heinrich Reinert den Johann Weiler aus Bettenfeld vom Tode des Ertrinkens aus dieser Stauanlage.“
Bürgermeister Kiefer betont, dass polizeilicherseits gegen den Betrieb einer Badeanstalt nichts einzuwenden ist, sobald Stadtfeld die inzwischen nachgesuchte Verleihung erhalten hat und gewisse in der Verleihungsurkunde noch näher bezeichnete Bedingungen erfüllt sind.
Die Geschlechtertrennung wird bis zu diesem Zeitpunkt von keiner Seite ausdrücklich thematisiert. Der Akte ist aber zu entnehmen, dass man sich seitens der Gemeinde bereits schlau gemacht hatte, denn es findet sich unter anderem ein Artikel aus der Trierischen Landeszeitung vom Mai 1927, in dem über ein Verbot des gemeinsamen Badens beiderlei Geschlechter in einem Freibad bei Trier berichtet wird. „Die Auswüchse, die sich beim Baden auf der Kordelswiese Jahr für Jahr zeigen, haben zu energischen Gegenmaßnahmen Anlass gegeben“, ist hier zu lesen.
Da wollte Hans Kiefer, seit 1922 Bürgermeister von Manderscheid, offenbar nicht nachstehen. In einer Stellungnahme an den für das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren zuständigen Bezirksausschuss in Trier bittet er um Aufnahme unter anderem der nachstehenden Bedingung in die Genehmigungsurkunde: „Das gemeinsame Baden beider Geschlechter ist verboten.“
Durch ein sogenanntes Familienbad würde das sittliche Niveau des Kurortes sinken und würden Beschwerden von Kurgästen, die auf Zucht und Ordnung sehen, nicht ausbleiben, begründet Kiefer sein Anliegen. „Ich erblicke in dem gemeinsamen Baden eine große sittliche Gefahr für unsere Jugend, insbesondere für die hier zahlreich verkehrende wandernde Jugend“, führt der Bürgermeister weiter aus und verweist auf die neu errichtete, in den Sommermonaten stark besuchte Jugendherberge.
Mit seinem Antwortschreiben an den Bürgermeister in Manderscheid stellt der Vorsitzende des Bezirksausschusses klar, dass der Ausschuss nur darüber zu entscheiden hat, ob das Recht zur Anlegung kommunaler oder gemeinnütziger Bäder verliehen werden soll. Bestimmungen über den inneren Betrieb der Badeanstalt seien Sache der Ortspolizeibehörde. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die folgenden Ausführungen des Ausschussvorsitzenden: „Ich persönlich kann die von Ihnen geltend gemachten Bedenken nicht teilen. Familienbäder sind seit vielen Jahren allgemein üblich und haben keinerlei Verschlechterung der Sitten zur Folge gehabt. Im Gegenteil bringt es die Gewöhnung mit sich, dass der nur mit einem Badeanzug bekleidete menschliche Körper nicht zur Sinnlichkeit mehr reizt, wenn der Anblick zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist".
Das Verleihungsverfahren für den Badebetrieb verzögerte sich zunächst, da der mit der Begutachtung der Gesamtsituation beauftragte Kreisarzt Dr. Müller an der etwa 300 m oberhalb gelegenen Endresmühle hygienische Mängel festgestellt hatte, die es umgehend zu beseitigen galt. So floss dort die Jauche aus dem Kuhstall über eine Wiese direkt in die Kleine Kyll, der Abort der Endresmühle stand an der Außenmauer des Kuhstalls, eine Grube war nicht vorhanden. „Auf die kurze Entfernung bis zum Stauweiher der Heidsmühle ist eine Selbstreinigung des durch die Endresmühle verunreinigten Wassers völlig ausgeschlossen“, stellte der Medizinalrat fest.
Auch an der Badeanstalt selbst hatte der Kreisarzt das eine oder andere auszusetzen, was daraufhin in Ordnung gebracht wurde. So waren Laufbretter abzuhobeln, um Verletzungen durch Splitter zu verhüten, das Sprungbrett war wegen der Wassertiefe von weniger als drei Metern zu entfernen, eine Anleitung zur „Wiederbelebung Ertrunkener“ musste angeschafft und in der Nähe der Badeanstalt aufgehängt werden.
Eine überraschende Wendung nahm das Verfahren durch ein Schreiben des Landrates Ende Juli 1928, dem sich nach einigem Hin und Her später auch der Regierungspräsident anschloss, an den Bürgermeister in Manderscheid. Landrat Bender stellte klar, dass die Errichtung einer Badeanstalt der hier in Frage stehenden Art an keine Genehmigung gebunden ist, da der Uferbesitzer nicht gehindert werden kann, eine Badeanstalt am Ufer zu errichten und zu betreiben. Die Genehmigung käme nur bei Badeanstalten in Frage, die sich in Wasserläufen befinden. Der zuständigen Ortspolizeibehörde wurde jedoch anheimgestellt, im Interesse der Ordnung und Sittlichkeit eine Regelung betreffend den Verkehr des Badepublikums am Ufer zu treffen. Damit war im Prinzip der Weg frei für eine Polizeiverordnung der Gemeinde Manderscheid als Polizeiverwaltung. Allerdings musste der Verordnungsentwurf, der Ende September 1928 auf den Weg gebracht wurde, zunächst durch den Regierungspräsidenten abgesegnet werden, was über acht Monate in Anspruch nahm.
Die Ungeduld des Bürgermeisters findet ihren Ausdruck in einem Schreiben an den Landrat: „Der Kurbetrieb in Manderscheid hat bereits begonnen. An den warmen Tagen wurde auch in dem Badeweiher gebadet. Ich halte nach wie vor eine Regelung des Betriebes in der Badeanlage durch eine Polizeiverordnung für unbedingt notwendig und bitte daher, nunmehr beschleunigt, eine Entscheidung des Herrn Regierungspräsidenten im Sinne meiner Vorlage herbeiführen zu wollen.“
In einem weiteren Schreiben des Bürgermeisters, welches in der Akte nur unvollständig erhalten und dessen Adressat daher nicht ersichtlich ist, heißt es: „Stadtfeld wird sich um die Polizeiverordnung nicht kümmern, da er gerade auf das gemeinsame Baden den größten Wert legt, um dadurch eine Hebung seines Kaffeebetriebes zu erzielen. Stadtfeld wird gegen die erste Bestrafung richterliche Entscheidung beantragen und ich möchte daher vor Erlass der Polizeiverordnung mich sichern, ob auch im Falle einer gerichtlichen Nachprüfung die Polizeiverordnung seitens der ordentlichen Gerichte anerkannt wird.“
Der Regierungspräsident gab schließlich grünes Licht. Mit Datum vom 2. Juli 1929 erging die abgebildete Verordnung. Eine vorherige Anhörung des betroffenen Eigentümers erfolgte nicht, jedenfalls ist der Akte dergleichen nicht zu entnehmen.
Veröffentlichungsorgan war das Kreisblatt in Wittlich, jeweils ein Exemplar der Verordnung ging per Postzustellungsurkunde an den Herrn Mühlenbesitzer Nikolaus Stadtfeld „zur gefl. Beachtung“ sowie auf dem normalen Postweg an den Herrn Oberlandjäger Weinstock sowie an den Herrn Polizei Hauptwachtmeister Hamannt „zur gefl. Kenntnis mit dem Ersuchen, durch unvermutete Revisionen die Befolgung der Verordnung ständig überwachen zu wollen“.
Nikolaus Stadtfeld reagierte prompt und heftig, wie es seine Art war. Unter strikter Außerachtlassung behördlicher Zuständigkeiten verfasste er eine Eingabe an das Preußische Ministerium des Innern in Berlin, die er der Polizeiverwaltung Manderscheid immerhin in Abschrift zur Kenntnis gab und in der er sich unter anderem darauf berief, dass der frühere Manderscheider Bürgermeister Dr. Meyers, zurzeit Landrat des Kreises Ahrweiler, ihn seinerzeit veranlasst habe, ein „Licht-, Luft- und Sonnen-Familienbad“ zu errichten. In jeder Großstadt, am ganzen Rhein entlang von Düsseldorf bis Mainz gebe es Familienbäder, auch kleinere Orte wie Simmern und Rengsdorf hätten ihr Familienbad. Als „Stimmungsbild“, wie er es ausdrückte, fügte er Einspruchslisten der Badegäste mit Begründung und Unterschriftenliste bei. „Vom großstädtischen Standpunkt gehört eine derartige Badeverordnung ins Museum“, heißt es da. „Das künstliche Auseinanderreißen von Familien wirkt fremdenfeindlich und bedeutet für die Zukunft eine Abkehr der Badegäste.“
Auch zwölf Manderscheider Hotel- bzw. Pensionsinhaber wurden zur Unterschrift unter ein Schriftstück veranlasst, in dem die sofortige Aufhebung der „stark rückständig wirkenden Polizeiverordnung“ gefordert wird.
Die Eingabe veranlasste den Manderscheider Bürgermeister zu einer ausführlichen Stellungnahme an den Landrat in Wittlich, in der er einige Aussagen Stadtfelds in Zweifel zieht, etwa dessen angebliche Existenzgefährdung durch das Verbot des Familienbades: „Die Anlagekosten des Stauweihers stehen in keinem Verhältnis zu dem Gesamtvermögen des Antragstellers. Die weitere Angabe, dass sich während der Saison täglich 600 bis 700 Fremde in Manderscheid aufhalten, ist ebenfalls stark übertrieben. Diese Zahlen stehen jedenfalls in keinem Verhältnis zu der Wirklichkeit und vor allem auch nicht zu den Zahlen, die die Gewerbetreibenden bei ihren Steuererklärungen dem Finanzamt angeben.“
Und an anderer Stelle des Schreibens: „Wenn, wie der Antragsteller bezweckt, das Familienbad als Aushängeschild und Reklame für Manderscheid gelten sollte, wäre es sehr schlecht um den Kurort bestellt. Ich behaupte sogar, dass viele Fremden den Ort als Erholungsstätte meiden würden, wenn sie gezwungen sind, dem oft sehr wüsten Treiben in der Badeanstalt zusehen zu müssen. In Wittlich und Daun, wie überhaupt in der Eifel, sind keine Familienbäder gestattet. Ich kann den Grund nicht einsehen, warum ausgerechnet Manderscheid, das sich mit Recht infolge der herrlichen Umgebung als die Perle der Eifel nennt, mit der Unsitte des Familienbades beginnen soll.“
Kiefer verweist auf eine Umfrage unter Beigeordneten und benachbarten Gemeindevorstehern mit dem Ergebnis, „dass auch diese älteren und erfahrenen Männer denselben Standpunkt vertreten.“
Der Bürgermeister macht überdies zum wiederholten Male geltend, dass sich in der Nähe der Badeanstalt die neu errichtete und mustergültig geleitete Jugendherberge von Manderscheid befindet. „In diesem Haus wird auf die strengste Trennung der Geschlechter geachtet. Gibt man nun Besuchern der Jugendherberge Gelegenheit zum gemeinsamen Baden, ist die im Haus so streng gewahrte Trennung der Geschlechter illusorisch. Der Zweck der Jugendherberge, die Jugend durch Wandern zu tüchtigen Menschen heranzuziehen, wird geradezu unmöglich gemacht.“
Letztlich konnte sich Kiefer die Anmerkung nicht verkneifen, dass der Hotelbesitzer Zens einer mündlichen Mitteilung zufolge keinen großen Wert auf ein Familienbad auf der Heidsmühle legt, sich aber bei der Unterschriftsliste nicht ausschließen wollte.
Die Ausführungen Kiefers münden denn auch in einem ablehnenden Bescheid des Landrates Bender vom August 1929 zum Widerspruchsschreiben Stadtfelds, welches zwischenzeitlich auf dem Dienstweg den Weg von Berlin nach Wittlich gefunden hatte.
„Das gemeinsame Baden der beiden Geschlechter widerspricht in jeder Beziehung dem Empfinden der dortigen Bevölkerung“, heißt es kurz und knapp. Und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Jugendherberge: „Ich halte daher den Erlass der Polizeiverordnung im Interesse der Jugend und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung für dringend notwendig“.
Der Manderscheider Rechtsanwalt und Notar Konrad Sieger legte daraufhin Beschwerde gegen den Bescheid des Landrates ein, wobei er zunächst formale Gründe ins Feld führte: Die ortspolizeiliche Vorschrift sei in rechtswidriger Weise ohne vorherige Beratung mit dem Gemeindevorstand erlassen worden, sie sei im Übrigen aufzuheben, weil sie sich auf ein Privatunternehmen bezieht.
In der Sache macht der Anwalt geltend, dass der Badeplatz ringsherum eingefriedet und von Wald umgeben ist, sodass er von außen nur aus großer Höhe eingesehen werden kann. Der Beschwerdeführer habe selbst das größte Interesse daran, dass das Baden nicht ausartet, sondern ebenso vornehm betrieben wird wie seine Gaststätte. Wörtlich führt der Rechtsanwalt aus: „Es mag sein, dass der größere Teil der bäuerlichen Dorfbewohner der Eifel das gemeinschaftliche Baden nicht versteht. Das trifft aber nicht für die bäuerliche Bevölkerung des Ortes Manderscheid zu, die durch den längeren Umgang mit den vielen Kurfremden anders geartet ist.“
Und weiter: „Es ist aber auch bekannt, dass früher überall an der Lieser und der Kleinen Kyll wild gebadet wurde, sodass man auf Spaziergängen sehr oft Badende sah, manchmal auch gänzlich unbekleidet. Tatsächlich hat das idyllisch gelegene Bad der Heidsmühle das wilde Baden fast gänzlich beseitigt.“
Bemerkenswert auch die Ausführungen des Beschwerdeschreibens zu Geschlechtertrennung in anderen Lebensbereichen: „Dass die Trennung der Geschlechter im Hause der Jugendherberge streng gewahrt wird, ist selbstverständlich, denn das gemeinsame Schlafen verbietet sich von selbst. Aber so wenig wie die Trennung der Geschlechter auf der Straße und sonst in der Öffentlichkeit aufrechterhalten werden kann, so wenig kann es auch geschehen, wenn die Jugend gemeinsam baden will.“
Fazit des Anwaltes: „Die sämtlichen in dem Bescheid für das Getrenntbaden angeführten Gründe können näherer Betrachtung nicht Stand halten. Vielmehr beruht alles auf der Gewohnheit und man kann wohl sagen, dass das heutige Leben in Licht, Luft, Sonne und Wasser ein körperlich und geistig gesunderes Menschengeschlecht erzieht als das frühere, mit all seinen Prüderieen.“
Allein, es half alles nichts. Mit knappem Schreiben des Landratsamtes Wittlich vom November 1929 wurde die Beschwerde unter Hinweis auf eine nochmalige Prüfung der Angelegenheit durch den Herrn Regierungspräsidenten zurückgewiesen.
Damit endet der Inhalt der vergilbten Akte, formal war die Sache abgeschlossen. Wie es tatsächlich weiterging, lässt sich wohl heute nicht mehr rekonstruieren. Heute ist das frühere Schwimmbad ein Biotop, in dem Enten gründeln und sich ab und zu eine Forelle in Ufernähe blicken lässt.