Hebammenwesen in Manderscheid
Hebammen waren speziell ausgebildete, geprüfte und vereidigte weibliche Personen für die Hilfeleistungen bei Geburten. Sie unterstanden der Aufsicht des Kreisphysikus.
Es gab frei praktizierende und von den Gemeinden angestellte Bezirkshebammen mit einem bestimmten Niederlassungsbezirk.
Junge Frauen aus den Dörfern konnten sich zur Ausbildung in den entsprechenden Lehranstalten melden oder wurden von Gemeinden bei Bedarf für einen bestimmten Bezirk vorgeschlagen. Die Bewerberinnen mussten dabei eine Reihe von Bedingungen erfüllen. Sie mussten katholisch, gesund und kräftig und guten Leumunds sein. Die Ausbildung dauerte 6 bis 9 Monate und kostete im Jahre 1895 600,- Mark. Diesen Betrag zahlte die Gemeinde und musste von der Bewerberin bei nicht bestandener Prüfung zurückgezahlt werden.
Nach erfolgter Ausbildung und bestandener Prüfung erhielten die jungen Hebammen einen Anstellungsvertrag, mit dem sie sich meist für 15 Jahre verpflichten mussten, in dem betreffenden Bezirk tätig zu sein. Während ihrer Berufszeit mussten sie regelmäßig, meist alle zwei Jahre, an Nachschulungen teilnehmen.
Die Vergütungen waren miserabel. Um 1900 wurde für die Armengeburten jährlich 45,- Mark gezahlt und für jede normale Geburt 5,- Mark.
Im Bereich Manderscheid gab es vier Niederlassungsbezirke: Bettenfeld/Meerfeld, Großlittgen, Laufeld und Manderscheid. 1884 waren in Bettenfeld Gertrud Burgund, in Großlittgen Gertrud Raskop, in Laufeld Katharina Tombers und in Manderscheid Susanne Hoffmann als Hebammen tätig.
Im Jahre 1899 ist die aus Eisenschmitt stammende Anna Maria Sartoris Hebamme in Manderscheid. Als sie im März 1904 wegzieht, wird Gertrud Burgund, die bis dahin in Bettenfeld tätig war, ihre Nachfolgerin. Die dortige Stelle ist danach bis März 1906 unbesetzt. Gertrud Burgund war 1876 auf Beschluss der Gemeinden Bettenfeld und Meerfeld zur Hebamme ausgebildet und angestellt worden. Ihr Entgelt betrug 18,- Mark für die Armenhilfe und 3,- Mark pro normale Geburt. Schon 1879 stellt sie einen Antrag auf Gehaltserhöhung, der aber abgelehnt wird. Mehrere weitere Anträge auf Verbesserung ihres Einkommens in den nachfolgenden Jahren werden ebenfalls abgelehnt oder nur teilweise genehmigt. Erst nach der Drohung einer Kündigung wird im Jahr 1894 das Armengehalt auf 60,- Mark pro Jahr erhöht.
In Manderscheid verbessert sich dann ihr Einkommen. Auch unter Berücksichtigung der zurückgehenden Geburten wird ihr Festgehalt im Januar 1914 auf 250,- Mark pro Jahr erhöht. Mit der aufkommenden Inflation gehen die Zahlen ins Unermessliche:
1920 werden die seit 1908 geltenden Sätze um das 4-fache erhöht.
1923 werden die Gebühren um das 500.000-fache erhöht. Die Inflation endet am 15. November 1923 durch die Ablösung der Papiermark mit Einführung der Rentenmark (wertgleich mit der späteren Reichsmark).
1924 erhält Gertrud Burgund, nun 70 Jahre alt, 10 Billionen Mark, was 10 Goldmark oder 2,38 US-Dollar entsprechen.
Gertrud Burgund stirbt am 24. September 1924 in Bettenfeld.
Am 29. Juli 1922 bringt ein neues Gesetz große Änderungen, was die Ausbildung, Anstellung und Vergütung von Hebammen betrifft. Die alten Verträge müssen aufgelöst werden. Nun sind die Landräte für die Einstellungen zuständig und der Landeshauptmann der Rheinprovinz in Düsseldorf ist für die Ausbildung an der Hebammenlehranstalt in Wuppertal-Elberfeld zuständig.
Wegen des hohen Alters der Hebamme Gertrud Burgund wendet sich der Manderscheider Gemeinderat an den Landrat Franz Bender in Wittlich um eine neue Hebamme. Dieser bittet am 18. Januar 1924 die Lehranstalten in Köln und Wuppertal um Vermittlung einer tatkräftigen und unverheirateten Hebamme.
Daraufhin bewirbt sich am 27. Januar 1924 eine Hebamme Staudt aus Elberfeld um die Stelle, macht aber Vorbehalte wegen der erforderlichen Nebentätigkeit.
Am 2. Februar 1924 bewirbt sich Anna Stadtfeld aus Manderscheid um die Ausbildung als Hebamme für die ausgeschriebene Stelle. Der Antrag wird genehmigt und an den Landrat weitergeleitet, der sich dann bei der Lehranstalt in Wuppertal nach den Bedingungen für eine Ausbildung erkundigt.
Nachdem Fräulein Stadtfeld alle Bedingungen akzeptiert hat, bittet die Gemeinde Manderscheid am 24. Juni 1924 die Lehranstalt in Wuppertal um Aufnahme der Anna Stadtfeld zur Ausbildung. Der Antrag kommt zurück, denn nicht die Lehranstalt in Wuppertal ist zuständig, sondern der Landeshauptmann in Düsseldorf.
Der Antrag geht nun am 17. Juli 1924 über den Landrat an den zuständigen Landeshauptmann.
Am 30 Juli 1924 teilt der Landrat der Gemeinde Manderscheid mit, dass der Kreis die Kosten der Ausbildung unter der Voraussetzung übernimmt, dass Fräulein Stadtfeld sich für 15 Jahre verpflichtet, im Kreis tätig zu sein. Anna Stadtfeld akzeptiert diese Bedingung und am 5. August 1924 kommt endlich der Bescheid aus Düsseldorf, dass am 26. August die Ausbildung beginnt.
Der Kurs dauert 18 Monate und kostet pro Tag für Unterricht, Wohnung und Verpflegung 1,25 Goldmark. Die Ausbildung endet am 1. März 1926 und Anna Stadtfeld wird als Nachfolgerin von Gertrud Burgund als Hebamme in Manderscheid eingestellt. Der Manderscheider Gemeinderat genehmigt einen jährlichen Zuschuss von 120 Reichsmark. Anfang 1927 wird vom Kreisarzt eine Erhöhung dieser Zulage auf 200 Reichsmark vorgeschlagen, woraufhin der Landrat eine Aufstellung der Vermögensverhältnisse anfordert. Am 4. April 1927 erhält Anna Stadtfeld vom Wittlicher Landrat Franz Bender ihre Niederlassungsgenehmigung.
Ab Oktober 1929 wird die Angestelltenversicherungspflicht auch auf die Hebammen ausgedehnt, weswegen der Landrat erneut um eine Aufstellung der wirtschaftlichen Verhältnisse diesmal aller Hebammen des Bezirks bittet. Dieser Aufforderung folgt der Manderscheider Bürgermeister Hans Kiefer am 18. Dezember 1929.
Anna Stadtfeld heiratet am 8. Juli 1929 Johann Stölben aus Manderscheid.
Am 23. Februar 1933 wurde ihr erster Sohn Hans, der Verfasser der vorangegangenen Zeilen, in der Hausmeisterwohnung der neu erbauten Schule geboren. Im Laufe der Zeit kamen noch vier Geschwister hinzu. Über 40 Jahre lang beriet, half und pflegte Anna Stölben, geb. Stadtfeld über 1000 Frauen in Manderscheid und den umliegenden Dörfern bei der Geburt ihrer Kinder. Mit 70 Jahren musste sie 1968 ihren Beruf aus Altersgründen aufgeben. Sie starb hochgeachtet und beliebt am 2. November 1991 im Alter von 93 Jahren. Nach ihr gab es keine Hebamme mehr in Manderscheid.